Seinen ersten öffentlichen Auftritt als Repräsentant des Hauses Habsburg hatte Otto bereits als Vierjähriger beim Begräbnis seines Urgroßonkels Kaiser Franz Joseph im November 1916.
Die Trauerprozession gab ein eindrucksvolles Bild und blieb vielen Teilnehmern und Zuschauern lange im Gedächtnis. Das Kleinkind Otto ging hinter dem Sarg in einem leuchtend weißen Kleid mit schwarzer Schärpe und stach aus der schwarzen Masse heraus. Als Sinnbild der Unschuld und Symbol des Neubeginns war er ein Sympathieträger in Zeiten der Kriegsmüdigkeit und Hoffnungslosigkeit. Der Auftritt des Kindes war eine PR-technische Meisterleistung, denn die Dynastie war nach dem Tod des alten Kaisers nicht mehr unumstritten.
Als Kind erlebte Otto die vergeblichen Bemühungen seiner Eltern, die verlorene Macht zurück zu gewinnen. Als Neunjähriger wurde er Zeuge des Todeskampfes seines Vaters: Exkaiser Karl bestand auf der Anwesenheit seines Sohnes, damit dieser sehen könne, „wie ein Christ zu seinem Schöpfer zurückkehrt“.
Aufgrund des frühen Todes seines Vaters wurde Otto als der älteste Sohn zu dessen Nachfolger aufgebaut. Von frühester Jugend an wurde er erzogen, einmal das Oberhaupt der Dynastie zu sein und gegebenenfalls die Herrschaft wieder zu erlangen. So wurde Otto augenblicklich nach dem Tod des Vaters mit „kaiserlicher Majestät“ tituliert, und seine Umgebung musste ihm alle Ehrerbietung bezeugen, die einem Kaiser zustand – trotz der ärmlichen Lebensverhältnisse. Als er 1930 für großjährig erklärt wurde, erhielt Otto aus den Händen seiner Mutter das politische Erbe seines Vaters und wurde als Oberhaupt der Dynastie anerkannt.
Dieser Anspruch spiegelte sich auch in seiner Ausbildung: Zunächst von Hauslehrern unterrichtet, besuchte er in den letzten Jahren vor der Matura das Gymnasium der Benediktinerabtei Clairvaux in Luxemburg. Selbst die Reifeprüfung wurde als Statement inszeniert: Der Kaisersohn maturierte vor einer österreichischen und ungarischen Kommission nach den Regeln von vor 1918.
Danach begann er das Studium der Rechte und Politikwissenschaften an der Universität Löwen in Belgien, wo er unter dem Pseudonym „Herzog von Bar“ immatrikuliert war. Dieser Titel war Teil der Titulatur des Oberhauptes der Dynastie Habsburg-Lothringen und außerdem ein deutlicher Hinweis auf die lothringischen Wurzeln.
Bei einem Studienaufenthalt in Berlin 1932/33 wurde er Zeuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 31. Januar 1933 und verließ umgehend Deutschland. 1935 schloß er das Studium ab und promovierte zum Doktor der Rechte. Im Jahre 1936 begann er sich in der Pan-Europa-Bewegung zu engagieren. Diese Bewegung wurde von dem böhmischen Adeligen Richard Graf Coudenhove-Kalergi gegründet zum Zwecke der Einigung Europas auf den Grundlagen der Demokratie und des christlichen Denkens als Gegenentwurf zu den totalitären Tendenzen des national-chauvinistischen, wie des kommunistischen Lagers.
In der Zwischenzeit hatte sich das Klima in Österreich geändert, und die öffentliche Meinung – zumindest katholisch-konservativer Kreise – begann dem habsburgischen Erbe zunehmend positive Seiten abzugewinnen. Otto fand Unterstützung in der monarchistischen Vereinigung „Eiserner Ring“, die zu einer Plattform der bisher unorganisierten legitimistischen Tendenzen wurde.
1931 wurde Otto von der Gemeinde Ampaß in Tirol zum Ehrenbürger ernannt. Es war dies das erste öffentliche Zeichen einer veränderten Haltung gegenüber der Dynastie. Diese Initiative entwicklete sich zu einer regelrechten Bewegung; bis 1938 erhielt Otto das Ehrenbürgerrecht von 1.603 Gemeinden Österreichs verliehen.
Baier, Stephan; Demmerle, Eva: Otto von Habsburg, Die Biografie. 5. Aufl., Amalthea, Wien 2007
Brook-Shepherd, Gordon: Otto von Habsburg. Biografie. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 2002
Leidinger, Hannes; Moritz, Verena; Schippler, Berndt: Schwarzbuch der Habsburger. Die unrühmliche Geschichte eines Herrscherhauses, 2. Auflage, Innsbruck, Wien 2010
Riedl, Joachim: Ein letzter Hauch der Monarchie. Mit dem Tod von Otto Habsburg geht ein Kapitel österreichischer Geschichte endgültig zu Ende. In: Wochenzeitung Die Zeit, Nr. 28, 7. Juli 2011, Österreich-Ausgabe, S. 14.
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Kapitel
- Habsburg im Exil I: Von der Schweiz nach Madeira
- Versuche zur Wiedererlangung der Macht
- Putschversuche in Ungarn
- Habsburg im Exil II: 1922 bis 1945
- Zita: Bis zuletzt für „Gott, Kaiser und Vaterland“
- Otto, der „letzte Kronprinz“
- Otto und der Austrofaschismus
- Die „Habsburg-Krise“
- Die Seligsprechung Kaiser Karls I.