Kriegseuphorie – Kriegsmüdigkeit
Die frenetischen Jubelrufe vieler im Sommer 1914 in den Krieg ziehender Soldaten wirken aus heutiger Perspektive und mit dem Wissen um das Destruktionspotenzial und die Gewalt, die dieser Krieg entfaltete, gespenstisch. Zu Kriegsbeginn wurden weite Teile der Bevölkerung von einer regelrechten Kriegseuphorie erfasst. Die These von der allumfassenden, alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen vereinnahmenden Begeisterung für den Krieg wurde von der historischen Forschung jedoch als Mythos entlarvt. Das Aufbruchspathos war vor allem im urbanen, bürgerlich-intellektuellen Milieu zu beobachten, weniger jedoch in den bäuerlichen und arbeitenden Schichten. Vornehmlich die geistigen Eliten – Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller, Philosophen usw. – setzten beinahe metaphysisch aufgeladene Hoffnungen in den Krieg und versprachen sich von ihm die kulturelle Erneuerung, die – wie es Robert Musil ausdrückte – „Revolution der Seele gegen die Ordnung.“
Der anfängliche patriotische Taumel wurde bald von den Schrecken des Großen Krieges überschattet. Die im Maschinenkrieg freigesetzte Zerstörungskraft, die unzähligen Verletzungen und Verstümmelungen, die psychische Belastung aufgrund des tagelangen Ausharrens im Schützengraben führten zu Erschöpfung und Ernüchterung der Soldaten. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage wurde auch das Hinterland spätestens ab 1916 von Desillusionierung und Kriegsmüdigkeit erfasst, die in Hungerkrawallen, Massenstreiks und Revolten ihren Ausdruck fanden.