Die Rumänen in der Habsburgermonarchie

Trotz ihrer zahlenmäßigen Größe – immerhin 6,4 % der Gesamtbevölkerung Österreich-Ungarns bekannten sich 1910 zur rumänischen Sprachgruppe – gehörten die Rumänen zu den unterprivilegierten Nationalitäten.

Deșteaptă-te, române, din somnul cel de moarte,

În care te-adânciră barbarii de tirani!

Acum ori niciodată croiește-ți altă soartă,

La care să se-nchine și cruzii tăi dușmani!

 

Deutsche Übersetzung:

 

Erwache, Rumäne, aus deinem Schlaf des Todes,

In welchen Dich barbarische Tyrannen versenkt haben!

Jetzt oder nie, webe Dir ein anderes Schicksal,

Vor welchem auch Deine grausamen Feinde sich verneigen werden!

Melodie und Text entstanden als Kampflied während der Revolution 1848. Seit 1989 ist das Lied die offizielle Nationalhymne Rumäniens.

Erste Strophe der rumänischen Nationalhymne „Erwache, Rumäne!“

Die Siedlungsgebiete der Rumänen in der Habsburgermonarchie hatten ihren Schwerpunkt in Transleithanien, wobei in erster Linie Siebenbürgen zu nennen ist, eine Region im Osten des historischen Königreiches Ungarn. Außerdem fanden sich rumänischsprachige Ansiedlungen im Banat und im östlichen Teil der ungarischen Tiefebene, wo sich Rumänen als Kolonisten in den durch die Türkenkriege verwüsteten Gebieten niedergelassen hatten.

Im Verband des Königreiches Ungarn lebten 1910 ca. 3,5 Millionen Menschen, die sich zur rumänischen Sprachgruppe bekannten, was 16,1 % der Bevölkerung der ungarischen Reichshälfte entsprach. In Cisleithanien lebten Rumänen in der Bukowina. Mit rund 300.000 Sprechern stellten sie mit 34,4 % in diesem Kronland die zweitgrößte Sprachgruppe nach den Ruthenen.

Bedeutend für die Geschichte der rumänischen Nationswerdung war die Tatsache, dass sich ihre Siedlungsgebiete nicht nur auf die Habsburgermonarchie beschränkten. Der größere Teil dieser südosteuropäischen Sprachgruppe lebte in den historischen Fürstentümern Walachei und Moldau, zwei Regionen, die in der Frühen Neuzeit in Abhängigkeit vom Osmanischen Reich gestanden waren. Von hier aus nahm die Entstehung des rumänischen Nationalstaates ihren Anfang, als sich diese Gebiete im 19. Jahrhundert aus der türkischen Oberherrschaft emanzipierten, ein Prozess, der 1859/61 in der Bildung des Fürstentums Rumänien gipfelte. Die Existenz eines souveränen Nationalstaates förderte den Irredentismus der rumänischsprachigen Minderheiten in der Habsburgermonarchie, die in diesem nun eine Schutzmacht und eine Stütze für ihr nationales Selbstbewusstsein sahen.

Die Rumänen unter habsburgischer Herrschaft durchliefen im Vergleich zu anderen nationalen Gruppen eine verspätete Nationswerdung. Historisch als Walachen bezeichnet, galten sie als „geschichtsloses Bauernvolk“, da sie unter der sozialen und ökonomischen Vorherrschaft anderer Sprachgruppen lebten. In Siebenbürgen waren die Rumänen in der Frühneuzeit bezeichnenderweise nicht im Landtag vertreten. Die historische Verfassung gab nur den Vertretern der Magyaren, Szekler und Sachsen eine Stimme. Daraus sprach ein vormodernes Verständnis von „natio“ als Rechtsgemeinschaft, die ursprünglich nur in einem vagen Zusammenhang mit den ethnisch-sprachlichen Verhältnissen gestanden war, im Nationalismus des 19. Jahrhunderts aber nun ahistorisch als Sprachnation interpretiert wurde.

So war die Nationswerdung der Rumänen von Beginn an mit sozialen Forderungen verbunden und stellte einen Emanzipationsprozess aus feudaler und nationaler Unterdrückung dar. Bezeichnenderweise galten im Geschichtsbewusstsein breiterer Schichten Rebellen gegen die ungarischen Grundherren und die Staatsgewalt als Nationalhelden.

Die Initialzündung der politischen Emanzipation fand in der Revolution 1848 in der Nationalversammlung im siebenbürgischen Blasendorf (rumän.: Blaj) statt. Erstmals wurden hier von einem Gremium, das sich als Volksvertretung verstand, nationale Forderungen formuliert. Als ersten Schritt forderte man eine der zahlenmäßigen Stärke der Volksgruppe entsprechende Repräsentation in den jeweiligen Landtagen. Als Fernziel wurde die Zusammenführung aller rumänischen Siedlungsgebiete in Ungarn, Siebenbürgen und der Bukowina in ein eigenständiges Kronland mit politischer und kultureller Autonomie definiert. Auch eine soziale Besserstellung wurde gefordert: So existierten noch Reste der Leibeigenschaft, denn Siebenbürgen war in dieser Hinsicht von den Reformen des josephinischen Zeitalters ausgenommen gewesen.

Die rumänische Gesandtschaft, die sich mit dem Forderungskatalog an den Wiener Hof gewandt hatte, wurde an den ungarischen Landtag verwiesen, welcher – ganz auf die Idee eines ungarischen Nationalstaates fixiert – die rumänischen Anliegen ignorierte.

In der Folge identifizierten sich die Vertreter der Rumänen während der ungarischen Revolution und des Freiheitskrieges von 1848/49 nicht mit dem ungarisch-magyarischen nationalen Program – im Gegenteil: Die Walachen sahen im Kaiser im fernen Wien ihren Schutzherrn gegen die magyarische Übermacht und beteiligten sich an der Niederschlagung der ungarischen separatistischen Bestrebungen. Dies äußerte sich vor allem in lokalen Aufständen gegen die ungarischen Grundherren, woraus wiederum die explosive Mischung aus nationalen und sozialen Motiven sprach.

Die Loyalität schien sich bezahlt zu machen: Als Entgegenkommen Wiens – vor allem aber um die magyarische Position zu schwächen – wurde Siebenbürgen ein eigenes Kronland, das zwar weiterhin Teil der Krone Ungarns blieb, in dem die Rumänen aber nun die Mehrheit stellten und durch Repräsentanten im Landtag vertreten waren.

Bibliografie 

Hanák, Péter: Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Essen 1988

Hitchins, Keith: Die Rumänen, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 585–625

Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart, München 1999

Kahl, Thede: Rumänien. Band 1: Raum und Bevölkerung. Geschichte und Geschichtsbilder (= Österreichische Osthefte 48), Wien 2008

Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005

Inhalte mit Bezug zu diesem Kapitel

Aspekt

  • Aspekt

    Das Reich der Habsburger

    Österreich-Ungarn war ein äußerst vielfältiges Staatsgebilde. Eine ‚Bestandsaufnahme’ der Habsburgermonarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs zeigt eine Großmacht im Niedergang. Soziale und politische Probleme sowie die alles überschattenden Nationalitätenstreitigkeiten rüttelten an den Fundamenten des Reiches. Jedoch stellte die Monarchie auch einen enorm lebendigen Kulturraum dar, dessen Vielfalt sich als befruchtend auf kulturellem Gebiet erwies, wo das Reich der Habsburger trotz der politischen Stagnation eine Blütezeit durchlebte.

Entwicklungen

  • Entwicklung

    Der Weg zur Nation – Nationale Programme und Positionen

    Das ‚Werden der Nationen’ war in Europa Teil des Emanzipationsprozesses breiterer Bevölkerungsschichten aus feudaler Bevormundung. Gemäß den Idealen der Aufklärung und der Französischen Revolution sollte die Nation – nun verstanden als Gemeinschaft freier Bürger – anstelle feudaler Potentaten die Rolle des eigentlichen Souveräns übernehmen.

    Die Idee der Nation wurde als Schicksalsgemeinschaft definiert, die durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache verbunden war. Zur Stärkung des Gruppengefühls wurde eine verbindliche Sicht der Geschichte der eigenen Nation geschaffen.