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Thema Die Slowaken
Die Slowaken im Kampf gegen die Magyarisierung: Über der Tatra gehen Blitze nieder …
So lauten die kämpferischen ersten Worte der slowakischen Nationalhymne. Diese ist Ausdruck des Bemühens der Slowaken um die Emanzipation aus der drückenden ungarisch-magyarischen Dominanz auf kulturellem und politischem Gebiet.
Nad Tatrou sa blýska, hromy divo bijú.
Zastavme ich bratia, ved’ sa ony stratia: Slováci ožijú.
To Slovensko naše posiaľ tvrdo spalo. Ale blesky hromu vzbudzujú ho k tomu, aby sa prebralo.
Übersetzung:
Über der Tatra gehen Blitze nieder, die Donner schlagen wild.
Lasst sie uns aufhalten, Brüder, sie werden bald verschwinden: Die Slowaken wachen auf.
Unsere Slowakei hat bisher fest geschlafen. Aber die Blitze des Donners rütteln sie auf, damit sie erwacht.
Besonders nach dem Ausgleich von 1867, als Ungarn im Rahmen der Doppelmonarchie großzügige Autonomierechte erhalten hatte, lag der Schwerpunkt der jungen slowakischen Nationalbewegung auf der Abwehr der aggressiven Magyarisierungspolitik des ungarischen Staates. Die Standpunkte variierten jedoch im Detail. Die anfänglich dominierende Idee einer nationalen Einheit mit den Tschechen im Sinne des Tschechoslowakismus (Ideologie einer nationalen Einheit der Tschechen und Slowaken, verbunden mit der Forderung nach einer staatlichen Vereinigung der Siedlungsgebiete) wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend von divergierenden Ansichten getrübt und die tschechische kulturelle Hegemonie abgelehnt.
Die Anhänger des Hungaroslawismus bekundeten wiederum eine prinzipielle Loyalität zum ungarischen Staat, der jedoch im Sinne eines föderalistischen Nationalitätenstaates durchgreifend umgestaltet werden müsste. Aber auch diese Richtung verlor durch die unnachgiebige Haltung der ungarischen Politik und die drückende magyarische Dominanz bald an Rückhalt.
Vereint waren die slowakischen Repräsentanten in der Selbstsicht als kleine, gegen übermächtige Gegner kämpfende Nation, die über keine Konationalen im Ausland verfügte, die als Schutzmacht auftreten konnten. Daher war in der slowakischen Nationalbewegung eine gewisse Neigung zur Flucht in einen utopischen Slawophilismus mit pro-russischer Tendenz auszumachen.
Der Druck der Magyarisierung wurde in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts immer stärker. Dies zeigte sich vor allem im Schulwesen: Das den Slowaken verfassungsmäßig zugesicherte Recht auf Unterricht in ihrer Muttersprache wurde von ungarischer Seite sehr repressiv interpretiert. So existierten kaum einsprachige slowakische, sondern zumeist zweisprachige ungarisch-slowakische Grundschulen mit deutlicher Betonung des ungarischen Elements. Ihren Höhepunkt fand die Magyarisierung des Schulwesens 1874/75 durch die Schließung der drei bisher bestehenden öffentlichen Gymnasien mit slowakischer Unterrichtssprache. Nun war den Slowaken der Zugang zu höherer Bildung im öffentlichen Schulsektor nur mehr in ungarischer Vermittlung möglich. Ein weiterer schwerer Schlag war das Verbot nationaler Kulturvereine wie die bedeutendste slowakische Kulturinstitution Matica Slovenská.
Die Slowaken waren auch in der politischen Vertretung eklatant unterrepräsentiert. Wahlkreisgrenzen waren bewusst so gezogen worden, dass kaum Bezirke mit einer slowakischen Bevölkerungsmehrheit zustande kamen. Außerdem war aufgrund des Zensuswahlrechts der Großteil der kleinbäuerlich und proletarisch geprägten slowakischen Gesellschaft ausgeschlossen.
Eine wichtige Persönlichkeit der slowakischen politischen Szene am Vorabend des Ersten Weltkrieges war Milan Hodža (1878–1944), welcher der Agrarbewegung nahe stand und zum Kreis der politischen Berater des als Gegner des ungarischen Ausgleichs bekannten Thronfolgers Franz Ferdinand gehörte. Eine weitere bedeutende Kraft war die Slowakische Volkspartei (Slovenská ľudová strana) unter der Führung des katholischen Priesters Andrej Hlinka (1864–1938). Hlinka wurde vor allem aufgrund der Tragödie von Černová 1907 zu einem nationalen Märtyrer. Die ungarischen Behörden untersagten dem Priester, die Einweihungszeremonie der lokalen Dorfkirche vorzunehmen, da dies als nationale Agitation eingestuft wurde. Der Protest der Dorfbewohner wurde durch die ungarische Polizei gewaltsam aufgelöst, wobei 15 Todesopfer und zahlreiche Verletzte zu beklagen waren. Hlinka wurde daraufhin als Staatsfeind angeklagt und zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Der als Massaker von Černová publik gewordene Vorfall machte die schwierige Situation der Slowaken in Ungarn international bekannt.
Zunächst weit weniger bedeutend war die von links-liberalen Idealen getragene Strömung der Hlasisten (abgeleitet von der Zeitschrift Hlas/Die Stimme), die dem Tschechoslowakismus das Wort redete. Deren Anhänger rekrutierten sich aus der zahlenmäßig noch schwachen urbanen Mittelschicht. Obwohl diese eine Minderheit in der vorwiegend bäuerlich-kleinstädtischen Welt der Slowaken darstellte, sollte diesen Vertretern eines gemeinsamen Nationsbegriffes von Slowaken und Tschechen durch die Gründung der Tschechoslowakei 1918 letztendlich Erfolg beschieden sein.
Gogolák, Ludwig: Ungarns Nationalitätengesetze und das Problem des magyarischen National- und Zentralstaates, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 2, 1207–1303
Holotík, L’udovít: Die Slowaken, in: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band III: Die Völker des Reiches, Wien 1980, Teilband 1, 775–800
Křen, Jan: Dvě století střední Evropy [Zwei Jahrhunderte Mitteleuropas], Praha 2005
Rumpler, Helmut: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie [Österreichische Geschichte 1804–1914, hrsg. von Herwig Wolfram], Wien 2005