Eine virtuelle Ausstellung

 

Der erster Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie

von Univ. Prof. Dr. Franz X. Eder, wissenschaftlicher Projektleiter

Der Erste Weltkrieg hat recht unterschiedliche Interpretationen erfahren: als erster vollständig 'industrialisierter' Krieg mit 15 Millionen militärischen und zivilen Toten; als 'Urkatastrophe' mit kaum zu unterschätzenden politischen Langzeitfolgen; als soziale und kulturelle Zäsur zwischen dem 'langen' 19. und dem 20. Jahrhundert. In den letzten Jahren hat sich die historische Forschung zum Kriegsgeschehen und 'Zivilleben' jenseits der Front jedoch deutlich verbreitert. Heute werden neben den eigentlichen Kriegshandlungen verstärkt auch die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen der Jahre 1914 bis 1918 beleuchtet. 

 

In diesem Sinn thematisiert die virtuelle Ausstellung „Erster Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie“ die Vorgeschichte des Krieges, das Kriegsgeschehen und vor allem auch den Alltag und das Leben während des Krieges sowie den Übergang zur Ersten Republik in Österreich. Dabei werden die Zeitumstände aus der Perspektive der Herrschenden und politisch Mächtigen genauso dargestellt wie die Erlebnisse und Erfahrungen der ‚einfachen Leute’. Die Ausstellung zeigt ‚große’ Politik und privates Schicksal, Militär und Zivilgesellschaft, österreichische und ausländische Sichtweisen aus teils ambivalenten und widersprüchlichen Blickwinkeln. Geografisch konzentriert sich die Ausstellung auf das Territorium der ehemaligen Habsburger¬monarchie und insbesondere auf das Gebiet des heutigen Österreich. 

 

Anhand von Text-, Bild-, Ton- und Filmquellen werden Themen wie Soldatenalltag, Ernährungsprobleme, Kriegsbeschädigte, Propaganda, Sexualität und Gewalt, Wirtschafts-entwicklung, Feldpost, Waffengattungen, Friedensbewegung, Nationalismus und vieles mehr veranschaulicht. Schwerpunkte bilden dabei lebensgeschichtliche Dokumente (wie Briefe, Tagebücher und Memoiren) sowie bildliche Quellen (wie Zeichnungen, Fotos, Landkarten), Filme (Dokumentar- und Propagandafilme) und Tondokumente (wie Ansprachen und Musik). Immer wieder wird eine geschlechtergeschichtliche Perspektive eingenommen, die zeigt, dass Männer und Frauen im Krieg meist recht unterschiedliche Erfahrungen machten.

 

Die virtuelle Ausstellung umfasst auch Ergebnisse eines Sammelaufrufs an die österreichische Bevölkerung, der unbekannte Objekte, Texte und Bilder zugängig gemacht hat – vieles davon ist bisher auf Dachböden und in Schubladen verstaubt und wurde für die Ausstellung ‚gehoben‘. Auch unveröffentlichte Quellenmaterialien der „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“, der „Sammlung Frauennachlässe“ und aus Privatbesitz wurden visualisiert. 

 

In einem Schülerwettbewerb (im Wintersemester 2014/15) können Klassen (mit den LehrerInnen) eigene Unterrichtsmaterialien und -pakete zum Ersten Weltkrieg kreieren und einreichen. In Form ‚forschenden Lernens’ sollen die erstellten Unterrichtseinheiten an Orte, Regionen, Personen, Ereignisse und Erinnerungen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Ein Bezug zur Gegenwart und dem schulischen bzw. persönlichen Umfeld der SchülerInnen ist herzustellen. Die besten praxisorientierten Unterrichtsbeispiele werden prämiert. 

 

Im Vergleich zu den vielen anderen Publikationen und Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg hat die Ausstellung einige Besonderheiten aufzuweisen: Als virtuelle Schau ist sie im Internet frei, zeitlich unbegrenzt und für breites nationales sowie internationales Publikum in Deutsch und Englisch verfügbar – dies auch über die Gedenk- und Erinnerungsjahre 2014 bis 2018 hinaus. Viele der gezeigten Quellen waren bisher nicht oder kaum für eine breitere Öffentlichkeit zugängig, darunter zahlreiche Fotos, Dokumente, Filmausschnitte, Tagebücher, Briefe etc., die hier erstmals gezeigt werden. Anders als in ‚traditionellen‘ Medien erlaubt diese Ausstellung eine mehrdimensionale und multimediale Annährung an die Thematik: Online können die Inhalte, Objekte und Medien über Personen, Landkarten, Orte, Ereignisse und vor allem über thematische Pfade und eine Mediathek verfolgt werden. Die Objekte sind untereinander verknüpft, sodass man von einem Thema zum nächsten weitergeführt wird. Wer möchte, kann aber auch intuitiv durch die Schau navigieren.

 

Wir haben ein breites nationales und internationales Publikum vor Augen: Schüler und Schülerinnen sowie Studierende können im Rahmen ihres Unterrichts / ihres Studiums die Ausstellung durchsuchen, werden eine Fülle an nützlichen Informationen, Bildern und Filmen sowie spannende Geschichte/n entdecken. Allgemein an Geschichte interessierte Personen, die den Ersten Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie aus einer breiten Perspektive – Krieg und Kriegsgeschehen, aber auch Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – kennen lernen möchten. Durch die englische Sprachversion wird zudem ein internationales Publikum angesprochen, das sich für die Geschichte des Ersten Weltkrieges oder für die Geschichte der Habsburgermonarchie und die Entstehung Österreichs interessiert. Ebenso soll die Website eine Plattform für Menschen bieten, die sich auf eine Reise nach Österreich vorbereiten oder – angeregt durch eine solche Reise -  ihr Wissen über die historischen Zusammenhänge im nachhinein vertiefen möchten.

 

Entsprechend ‚breit‘ haben wir die textuelle Aufbereitung konzipiert. Man kann hier basale wissenschaftliche Informationen neben mehr journalistischen und ‚flotteren‘ Texten finden, die jeweils auf ihre Art und Weise ein heterogenes Publikum ansprechen. 

 

Univ. Prof. Dr. Franz X. Eder, wissenschaftlicher Projektleiter
Mai 2014

 

Anhang
 
Einige der behandelten Themen:
 
  • Bedeutung von Feldpost für die Mentalität
  • Zensur und Propaganda als Instrumente der Kriegsführung
  • Scheitern der (Frauen-)Friedensbewegung
  • Gewalt(erfahrungen) und Soldatenalltag
  • Schreiben im Krieg – Literaten im Ersten Weltkrieg
  • Musik für den Krieg, Krieg in der Musik
  • Der Erste Weltkrieg in Schulbüchern
  • Entstehung der Ersten Republik
  • Gedenken und Gedenkorte nach dem Krieg; Schlachtfeldtourismus
  • Kinder und Jugendliche im Ersten Weltkrieg
  • Die Medialisierung des Kriegs 
  • Ernährung, Hunger, Rationierung 
  • Sexualität und Gewalt als Kriegserfahrungen
  • Grenzverhandlungen und Volksgruppenkonflikte nach dem Krieg
  • Die Genese der politischen Parteien
  • Frauen im Ersten Weltkrieg (Soldatinnen, Helferinnen, Krankenschwestern)
  • Kriegseuphorie – Kriegsmüdigkeit – Kriegstrauma
  • Medizin, Verwundungen, Behinderungen
  • Nationalitätenpolitik der Habsburgermonarchie
  • Ersatzstoffe und Mangelwaren
  • Abwicklung der Monarchie
  • Dynastie der Habsburger im Krieg
  • ‚Pulverfass‘ Balkan
  • Wien: Veränderungen einer Stadt im Krieg
  • Die österreichische ‚Luftwaffe‘
  • Kriegsrecht und Kriegsverbrechen
  • Die Not der Kriegsgefangenen
  • Waffen und Technologie 
  • Drei Fronten (Süd/Ost/Nord)
  • Film im Krieg – Krieg im Film
  • Militärische Männlichkeiten in der österr. Literatur zum Ersten Weltkrieg
  • Die Wirtschaft im Ersten Weltkrieg
  • Kriegsfinanzierung und Inflation
  •  

Beispiele für Quellenmaterialien aus dem Sammelaufruf:

Die meisten Quellenmaterialien dokumentieren den persönlichen Schicksalsverlauf im Krieg und die Erlebnisse und Erfahrungen an der Front, aber auch in der ‚Heimat‘.

  • Feldpostbriefe: Aufrechterhaltung von Beziehungen/Ehe/Familien
  • Postkarten, in denen man kurz berichtete, dass man noch lebt; Zensurmaßnahmen 
  • Kriegs- und Fronttagebücher: teils Notizen, teils sehr ausführliche Beschreibungen des Alltags und der Fronterlebnisse 
  • Fotos: privat fotografiert; manche hatten private Fotoapparate dabei; Faszination für Waffen, Artillerie, Flugzeuge, Zeppeline; aber auch alltägliche Situationen in den Schützengräben und Stellungen; auch aus Lazaretten, 
  • administratives Material: Entlassungsscheine, Urlaubsscheine, Totenscheine
  • (un-)gebrauchte Lebensmittelmarken
  • Formulare der „Gold gab ich für Eisen-Aktion“ – Spende zur Kriegsfinanzierung von 1915
  • Kriegsspielzeug: Ausschneidbilder; Soldatenfiguren
  • propagandistisches Material: zB „Kriegsbuch für die Jugend und das Volk“ von 1916; Schlachtschilderungen und bildliche Darstellungen 
  • Tonbandaufnahmen aus den 1960er Jahren, in denen ein ‚Opa‘ für seine Enkel die Erlebnisse in einer Waffenfabrik erzählt
  • Familienchroniken, in denen die Kinder die Kriegsgeschichten der Großeltern festhalten und aufbereiten 
  • Lebensgeschichtliche Aufzeichnungen eines Mannes, der in den 1930er Jahren seine Erlebnisse für die Kinder niederschreibt und ihnen über den Alltag an der Drina-Front erzählt 
  • kommentierte Fotoalben: Fotos etwa des Kaiser – und von Hand eingeschriebene Sprüche wie „Gott strafe England“ 
  • Kriegs-/Staatsanleihen
  • Kriegskalender mit Eintragungen 
  • niedergeschriebene Soldatenlieder 
  • Kriegsstammbuch der Stadt Wien von 1916 – mit Kaiser und Generälen mit persönlichen Widmungen (gedruckt) 
  • Erinnerungstexte aus der und an die Gefangenschaft – die schwierige Ernährungslage, Krankheiten, Männerfreundschaften  
  • Handzeichnungen von Frontabschnitten
  • Sammlungen von Zeitungsausschnitten 
  • Notgeld für russische Kriegsgefangene in österr. Lagern