Situation in Wien nach Abflauen der Kriegsbegeisterung, Auszug aus Tagebuch von Julie Söllner, Seite 10f
wurden aufgenommen und bald mußte man sehen, daß wir bald größtenteils Maisbrot werden essen müssen, es kam zu Störungen in der Brotversorgung der Stadt, ich selbst ging – ich hätte nicht müssen, da ich genügend Brot zu Hause hatte – in 6 verschiedene, große Bäckergeschäfte der inneren Stadt und konnte nichts Brotähnliches auftreiben nur ein Stückchen [unleserlich]brot und in den Vorstädten gab es gestürmte Bäckerladen und Wagen, kurz es sah recht bedrohlich aus. Das hat sich wieder gegeben, man bekommt Brot, wenn auch zu außergewöhnlichen Preisen. In wenigen Tagen werden auch Brotkarten (mit Mehlkarten combiniert) ausgegeben werden. Wer Mehlvorräthe hat bekommt nur 3/4 Karten und muß seinen anderen Gebrauch aus seinen Vorräten decken, die immer wieder anzugeben und zu controlieren sind. Es wird gewiß bei der geringen Disciplin, die bei uns herrscht, schwer sein
das durchzuführen. Ich selbst habe Vorräte und hoffe, daß es uns gelingen wird, ohne allzuviel Entbehrungen und Kosten über diese Zeit zu kommen. Aber, das spielt ja nur eine geringe Rolle in so einer Zeit. In so einer furchtbaren Zeit. Wo der Mord an der Tagesordnung ist, wo schon unsere Kinder kein höheres Glück sich erträumen können, als daß recht viele Feinde getötet werden. Sie werden vergiftet und verdorben und doch auch ganz anders patriotisch erzogen als wir, die [unleserlich] vielleicht werden sie stärker aus dieser Zeit hervorgehen – vielleicht werden sie sich stolz an die Zeit erinnern, wo sie keine größere Freude gekannt haben, als dem Vaterland, den Soldaten und den verwundeten Kriegern ihre paar ersparten Heller zu geben, wo sie gern für sie gearbeitet haben – vielleicht aber werden sie auch mit Wehmut an diese Zeit zurückdenken, wenn der Erfolg für uns doch ausbleiben sollte, was ja, wenn man an die enorme Übermacht der Feinde denkt, auch kommen kann.