Von liebenden Frauen und kriegerischen Männern

Geschlechterbilder im Ersten Weltkrieg

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es zu einer Veränderung der gängigen Geschlechterbilder. An die Stelle des Gegensatzpaares von männlich/öffentlich und weiblich/privat trat eine andere Form der Differenzierung, welche die Front zur männlichen und die Heimat zur weiblichen Sphäre erklärte.


 

Die traditionelle Geschlechterordnung, welche die Männer in der Öffentlichkeit, die Frauen hingegen im privaten bzw. innerfamiliären Bereich verortete, begann bereits vor Beginn des Krieges zu erodieren. Viele Frauen gingen einer Erwerbsarbeit nach und verrichteten Tätigkeiten außerhalb des Hauses. Zudem brachten die sich etablierenden Frauenorganisationen die Interessen und Standpunkte der weiblichen Bevölkerung verstärkt an die Öffentlichkeit.

Mit Kriegsbeginn kam es jedoch zu einer erneuten Dichotomisierung der Geschlechterbilder, welche die Front als exklusiven männlichen, die Heimat als weiblichen Bereich definierte. Männlichkeit und Weiblichkeit wurden im Zuge der Kriegsrealität(en) wieder zu komplementären Attributen. Während der Frontsoldat zum Symbol von wahrer Männlichkeit avancierte, waren es die an der „Heimatfront“ für die Kriegswohlfahrt tätigen Frauen, die den Inbegriff von Weiblichkeit darstellten. Sie sollten ihre ‚natürlichen’ Tugenden der Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit in den Dienst des Vaterlandes bzw. des Krieges stellen.

Auch die im August 1914 gegründete Frauenhilfsaktion im Kriege berief sich auf die ‚universellen Tugenden’ und den ‚mütterlichen Instinkt’ der Frauen, um klassenspezifische und religiöse Differenzen ihrer Mitglieder zu minimieren. Diese sammelten Spenden für die Frontsoldaten, unterstützen Frauen bei der Arbeitssuche, installierten Kriegsküchen und errichteten Nähstuben, in denen arbeitslose Frauen für die Fertigung von Kriegskleidung ein wenig Geld erhielten. All diese Tätigkeiten wurden auch seitens des Staates als ‚Gesten der Liebe’ wahrgenommen.

Zur moralischen Unterstützung der Soldaten schnürten Frauen und Kinder kleine Pakete mit selbstgestrickten Strümpfen und Schneehauben, mit Schokolade, Tabak und Trockenobst, die dann als „Liebesgaben“ an die Front geschickt wurden. In diesem Liebesdiskurs wurde zwischen anonymen Soldaten und in der Heimat weilenden Frauen und Mädchen eine (scheinbare) Verbindung bzw. Beziehung hergestellt.

Margarete Feuerbach, die 1905 in Wien geboren wurde, erinnerte sich noch Jahrzehnte später an den Namen des von ihr beschenkten Soldaten:

Wir mussten, je nach finanzieller Möglichkeit, Päckchen mit Lebensmitteln, wie Schokolade, Trockenfrüchte, Zwieback und Zigaretten zusammenstellen und an die Soldaten an der Front schicken. Auch ich durfte ein solches Päckchen verschicken und ich war sehr stolz, als ich dann eines Tages von einem Soldaten an der Front eine Karte erhielt, auf der er sich für mein Päckchen bedankte. Seinen Namen weiß ich heute noch: Anton Blecha.

Die selbstlose Hilfsbereitschaft und Fürsorge der Frauen wurde als wesentlicher Beitrag zum Krieg verstanden. Das Bild der rührenden, liebenden Mutter galt in der Vorstellung der Soldaten als Inbegriff der Heimat. Mit ihm verschmolzen die Frauen des Hinterlandes, die jedoch höchst unterschiedliche Kriegserfahrungen sammelten, zu einer homogenen Masse, deren Liebe die Antithese zu einem von Männern geführten Krieg darstellte.

 

Bibliografie 

Daniel, Ute: Frauen, in: Hirschfeld, Gerhard/Krumeich, Gerd/Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn et al. 2009, 116-134

Hämmerle, Christa: „Wir strickten und nähten Wäsche für Soldaten…“ Von der Militarisierung des Handarbeitens im Ersten Weltkrieg, in: L´Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (1992) 1, 88-128

Hämmerle, Christa: „Habt Dank, Ihr Wiener Mägdelein…“ Soldaten und weibliche Liebesgaben im Ersten Weltkrieg, in: L´Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (1997) 1, 132-154

Hämmerle, Christa: „Zur Liebesarbeit sind wir hier, Soldatenstrümpfe stricken wir …“ Zu Formen weiblicher Kriegsfürsorge im Ersten Weltkrieg (unveröffentlichte Dissertation), Wien 1996

Healy, Maureen: Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, Cambridge 2004

Heeresgeschichtliches Museum: Die Frau im Krieg. Katalog zur Ausstellung vom 6. Mai bis 26. Oktober 1986, Wien 1986

 

Zitate:

„Wir mussten, je nach finanzieller Möglichkeit …“:  Margarete Feuerbach, Kindheitserinnerungen. 1. Weltkrieg. 2. Weltkrieg, unveröff. Manuskript der Dokumentation Lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen der Universität Wien, dat. 1985, zitiert nach: Hämmerle, Christa: „Wir strickten und nähten Wäsche für Soldaten…“ Von der Militarisierung des Handarbeitens im Ersten Weltkrieg, in: L´Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (1992) 1, 108

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  • Entwicklung

    Geschlechterrollen: (k)ein Wandel?

    Dass der Erste Weltkrieg traditionelle Geschlechterrollen von Frauen und Männern ins Wanken brachte, ist eine weitverbreitete Ansicht. Fotografien von Straßenbahnschaffnerinnen, Fuhrwerkerinnen und Briefträgerinnen zeugen dem Anschein nach ebenso davon wie die durch den Krieg erzwungene und notwendige Übernahme der männlich gedachten Rolle des Ernährers und Versorgers durch die daheim gebliebenen Frauen. Aber gab es diesen Wandel tatsächlich und was blieb nach 1918 davon übrig?